Mittwoch, 3. Juni 2015

Zeitmaschine!

Kinder, wie die Zeit vergeht?!
1000 Jahre Leipzig – ein rundes Jubiläum. Aber genauer betrachtet doch krumm. Der Geschichtslaie reibt sich ungläubig die Augen, verharrt bei der Fülle des Medienrummels in den Lokalmedien zur Salzsäule erstarrt und der Lokalhistoriker staunt bei soviel Geschichtsklitterung klobige Bauklötze. Denn angesichts des schier unendlich scheinenden Einfallsreichtums des Leipziger Stadt-Marketings muss man immer auf alles gefasst bleiben. 

Hula Hoop!
Leipzig soll ja Boom-Stadt sein. Angesichts steigender Mieten (die Mietpreisbremsen sind defekt), grassierendem Mangel an bezahlbaren Wohnraum und luxuriös-blinder Sanierungswut kann man sicherlich von einem Boom sprechen. Ein Grund zum feiern also – doch zurück zu den schnell tickenden Uhren in Leipzig: Die Altvorderen können sich vielleicht noch erinnern: Anno 1965 feierte man in Leipzig schonmal Jubiläum. Damals wurden 800 Jahre gefeiert. Die Vergabe des Stadt- und Messerechts durch Markgraf Otto dem Reichen. Aber das Jahr der tatsächlichen Stadt- und Messerechtsvergabe an die slawisch stämmige Pleißenufersiedlung lässt sich bis heute nicht mehr zweifelsfrei nachvollziehen. Irgendwann zwischen 1156 und 1170 muss das wohl gewesen sein. Bezogen auf schlecht leserliche Handschriften und Urkundenfälschung muss man das Hochmittelalter feierlich als Goldene Ära bezeichnen. Immerhin etwas.

Daß aber seit letzter Woche die Eintausend-Jahr-Sau schrill-bunt grunzend durchs Stadtbild getrieben wird, verdanken wir einer Ersterwähnung einer urbe lipsi im Jahre 1015 und einer perfiden Marketing-Idee der oberbürgermeisterlichen Werbeagentur. Die Westend-Boys wieder...nur ohne Girls. Es riecht gewaltig nach falsch etikettierter Sau. Zum grunzen lustig dabei das erkennbare Schema: man erzählt – gewohnheitsmäßig und berufsbedingt – nur die Hälfte der Halbwahrheit, biegt den Rest solange zurecht bis er ins Konzept passt und bläst ordentlich Luft hinein. (*) 
Und wer kommt angesichts dieser werbestrategischen Raffinesse schon auf die krude Idee nachzuhaken? Denn wer sich dennoch die Mühe macht, sich die Siedlungsgeschichte der Menschen in diesem ehemals sachsensumpfigen Teil Mitteleuropas vor dem inneren Auge mal auf der Zunge zergehen zu lassen (lecker), dem wird u.U. einleuchten, daß die Siedelei Lipsi bei Ersterwähnung sicherlich schon ein paar Jährchen auf dem Buckel gehabt haben muss, auch ohne schriftlich vermerkt worden zu sein. Analphabetismus ist und bleibt also ein Skandal! Aber ich bin mir sicher – ähnlich wie Gunter Böhnke gestern in seiner Radio-Kolumne – daß wir noch zu unseren Lebzeiten mit hoher Wahrscheinlichkeit ein 2000jähriges Jubiläum erleben werden dürfen, sofern die Zeitmaschine des Stadt-Marketings weiter so effizient spinnen sollte und neue Dokumente aus der Klamottenkiste gezaubert werden können, jetzt wo wir alle irgendwie Stadt sein sollen...

In diesem Sinne: Prost! Auf die nächsten 5 Milliarden Jahre! 

(D.P.)

(*) Dieses in Sachsen gern genutzte Prinzip den Wirkungsgrad von Schnapsideen in Elefanten zu verwandeln, funktionierte schon halbwegs bei Leipzigs großkotziger Olympiabewerbung für die Spiele 2012.

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